75% aller neu gegründeten Unternehmen scheitern. Was machen die anderen 25% anders? Ein Ansatz, der darauf ausgelegt ist, die Risiken einer Unternehmensgründung zu minimieren und der in den letzten Jahren sehr populär geworden ist, ist Lean Startup.
Eric Ries prägte diesen Begriff im Jahr 2004, als er Parallelen zum Lean-Manufacturing-Prozess bei Toyota zog. Ein Lean Startup kombiniert agile Methoden aus der Softwareentwicklung mit Kundenentwicklung.
Startups wurden jahrzehntelang mit einem statischen Geschäftsplan ins Leben gerufen, der in Isolation ohne Kundenkontakt erstellt wurde, bevor ein Produkt entwickelt worden war. Lean Startups erkennen hingegen an, dass alles Wissen, was sie zu Beginn haben, Annahmen sind. Sie lassen sich auf der Suche nach einem tragfähigen Geschäftsmodell Zeit für eine Experimentierphase, in der sie Probleme und Bedürfnisse ermitteln, indem sie potenziellen Kund:innen zuhören, anstatt lediglich ihre eigenen Ideen zu präsentieren. In der Phase der so genannten Kundenentwicklung („Customer development“) übersetzen Lean Startups ihre Ideen zunächst in Hypothesen für ein Geschäftsmodell. Dann testen sie ihre Annahmen eine nach der anderen, wobei sie idealerweise mit der risikoreichsten Annahme beginnen. Mit diesen Erkenntnissen schwenken sie um auf neue Annahmen, indem sie eine oder mehrere Elemente ihrer Idee ändern und wiederholt testen. Erst wenn ein Geschäftsmodell nachweislich auf eine ausreichende Kunden- und Marktakzeptanz getroffen ist, konzentrieren sie sich auf die Entwicklung und vollziehen den Übergang zu einem Unternehmen mit funktionalen Abteilungen.
Die Produktentwicklung bei Lean Startups ist lediglich ein Mittel, um Ideen zu testen. Was entwickelt wird, ergibt sich aus dem, was sie lernen wollen und wie das gemessen wird. Sie beginnen mit einem minimal brauchbaren Produkt („Minimum Viable Product“ oder kurz MVP), das nicht mehr als ein kritisches Merkmal aufweist. Im Gegensatz zum etablierten Wasserfallmodell mit einem langen, linearen Prozess und späten Betatests unterteilen Lean Startups die Produktentwicklung in kleine Schnritte. Sie arbeiten oft Seite an Seite in einem funktionsübergreifenden Team an einer Eigenschaft und veröffentlichen sofort. Die agile Entwicklung in kurzen, sich wiederholenden Zyklen bietet viele Möglichkeiten, laufend Feedback einzuholen und die gewonnenen Erkenntnisse sofort in die weitere Entwicklung einfließen zu lassen, ohne Zeit, Geld und Mühe auf Elemente zu verschwenden, die nicht funktionieren. Im Vergleich zur verdeckten Produktentwicklung birgt dies das Risiko, dass vertrauliche Details an Wettbewerber weitergegeben werden, aber Lean Startups sind bereit, dieses Risiko einzugehen, weil sie überzeugt sind, dass das, was sie dabei lernen, wertvoller ist.
Startups mit einer „schlanken“ Mentalität erkennen, dass die traditionelle Bilanzierung für ihre Zwecke wenig sinnvoll ist. Während sie noch auf der Suche nach einem tragfähigen Geschäftsmodell sind und mit verschiedenen Faktoren experimentieren, ist ihre Zukunft für langfristige Prognosen und Meilensteine einfach zu unberechenbar. Stattdessen konzentrieren sie sich auf eine relativ kleine Anzahl von aussagekräftigen Kennzahlen und Daten, die gut genug statt vollständig sind, um die Entscheidungsfindung direkt zu beeinflussen, wobei das Minimum Viable Product als Basis dient. Jede Maßnahme, die sie von dort aus ergreifen, ist ein Experiment zur Verbesserung eines Treibers ihrer Wachstumsrate. Daher ist es für Lean Startups von entscheidender Bedeutung, ein tiefgreifendes Verständnis ihrer individuellen Wachstumstreiber zu erlangen, bei denen es sich in den meisten Fällen entweder um einen starren, einen viralen oder einen bezahlten Wachstumsmotor handelt. Bei der Analyse dieser Daten stützen sie sich stark auf Methoden wie die Kohortenanalyse und Split-Testing. Menschen neigen zu Optimismus, aber Lean Startups sind sich bewusst, dass sie sich der brutalen Realität stellen und ihre Ideen neu ausrichten müssen, wenn ihre Wachstumstreiber nicht deutlich an Fahrt aufnehmen.
Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, werden die Mitarbeiter:innen nicht entlassen, sondern das Startup leitet weitere Experimente daraus ab. Da es darum geht, ein anpassungsfähiges Unternehmen aufzubauen, ist die Erfahrung der Mitarbeiter:innen in Lean Startups weniger wichtig. Während die Richtung des Unternehmens noch weit offen ist, ist die Fähigkeit der Teammitglieder, relevante Erkenntnisse zu sammeln und flexibel zu handeln, entscheidend.
Ursprünglich für schnell wachsende Technologieunternehmen entwickelt, können auch kleine und große Unternehmen vom Lean Startup Ansatz lernen. Jahrzehntelang haben Unternehmen den Fokus auf Effizienz und Kostensenkung gelegt, um bestehende Geschäftsmodelle zu verbessern. Intrapreneur:innen können in größeren Unternehmen ebenfalls Teams bilden. Im Sandbox-Modus suchen diese nach neuen Geschäftsmodellen, die das Produktportfolio eines Unternehmens ergänzen. So können Unternehmen auf den wachsenden Bedarf an schnellen Anpassungen an eine sich ständig verändernde Realität zu reagieren. Steve Blank fordert eine auf unternehmerischer Innovation basierende Wirtschaft, da er argumentiert, dass „das Beschäftigungswachstum im 21. Jahrhundert von neuen Unternehmen ausgehen muss, weshalb wir alle ein begründetes Interesse daran haben, ein Umfeld zu fördern, das ihnen hilft erfolgreich zu sein, zu wachsen und mehr Arbeitnehmer:innen einzustellen.“
Die Anwendung der Lean Start-up Mentalität macht einzelne Startups nicht erfolgreicher. Lean Startups scheitern genauso oft, aber sie scheitern früh, wenn die Kosten des Scheiterns noch gering sind. Sie verschwenden keine Zeit und Ressourcen mit der Umsetzung von Vermutungen, die sich als nicht richtig erweisen, sondern versuchen, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu finden, lange bevor ihnen die Ressourcen ausgehen. Indem sie aus ihren Misserfolgen lernen und Geld für das sparen, was auf größte Akzeptanz stößt, verringern sie das Risiko eines endgültigen Scheiterns und bauen am Ende vielleicht ein erfolgreiches Unternehmen auf einer Geschäftsidee auf, die sie sich zu Beginn nie hätten vorstellen können.
Dieser Blogbeitrag stammt aus einem Bericht für meinen berufsbegleitenden MBA in Business Innovation & Design an der Laurea University und basiert auf einem Artikel des Harvard Business Review von Steve Blank. Er wurde ursprünglich auf Englisch veröffentlicht, 2022 übersetzt und 2023 eine deutsche Version der Grafik ersetzt.