Bereits zum zehnten Mal fand letzte Woche der UX-Day in Mannheim statt. Mit Claire Rowland hielt erstmals eine englischsprachige Referentin die Keynote. Sie sprach über User Experience (UX) für Systeme verbundener Produkte im Internet der Dinge (IoT), eine wichtige Herausforderung für UX Experten in den kommenden Jahren.
Seit ich denken kann, gebe ich mein Geld gerne für Gadgets aus. Auszuprobieren, wie Technologie verschiedene Lebensbereiche verändert, fasziniert mich. Als Konzepterin habe ich Claire Rowland’s Buch „Designing connected products: UX for the consumer internet of things“ bereits vor einiger Zeit verschlungen. Das Buch macht einem die vielfältigen Herausforderungen bewusst, die Konzepter für eine gute User Experience im Internet der Dinge beachten müssen.
Das Internet der Dinge macht uns alle zu Programmierern
Das Internet der Dinge bricht vor allem mit dem Prinzip der direkten Manipulation. Interaktionen können zeitlich oder räumlich versetzt sein. Viele Geräte werden von Batterien gespeist und verbinden sich zum Stromsparen nur in gewissen Abständen mit dem Internet. Viele Interaktionen können nicht nur am Gerät selbst, sondern auch aus der Ferne gesteuert werden. Für Nutzer ist das verwirrend und die Zahl der möglichen Fehlerquellen nimmt zu.
Von den Nutzern erfordert das Internet der Dinge eine weitaus höhere kognitive Leistung als die meisten bisherigen Systeme. IoT Systeme können die Komplexität entweder erklären oder verstecken. So oder so müssen Nutzer das System zumindest ansatzweise verstehen. Vor allem wenn etwas nicht funktioniert wie gewünscht, müssen sie erkennen, welche Geräte für welche Funktionalität zuständig sind. Um Systeme zu konfigurieren, müssen sie ihre eigenen Bedürfnisse verstehen und in logische Regeln für das System überführen. Daraus können neue Rollen entstehen, wie beispielsweise IoT Klempner, die Nutzern helfen, solche Systeme zu installieren, umzukonfigurieren und zu reparieren.
Service Design für das Internet der Dinge
Je komplexer das System, desto eher muss es um die Jobs-to-be-Done der Nutzer und weniger um die Geräte herum gestaltet werden. Je besser Nutzer die Vorteile verstehen und diese als wertvoller wahrnehmen als die Risiken, desto eher sind sie motiviert, sich damit auseinanderzusetzen, wie das System funktioniert und wie sie es benutzen können. Service Design Methoden helfen, zunächst die Menschen und den Nutzungskontext zu verstehen und auf Basis dieser Erkenntnisse ein überzeugendes Produktversprechen zu formulieren. Service Ecology Maps und Customer Journey Maps visualisieren die komplexen Abhängigkeiten im Internet der Dinge und unterstützen die Verzahnung der einzelnen Komponenten.
Eine interessante Unterscheidung ist die zwischen einem Gerät, das Service ermöglicht und einem Service, der durch Geräte ermöglicht wird. Während im ersten Fall ein Gerät im Fokus steht, sind die Geräte im zweiten Fall austauschbar. In beiden Fällen dienen die Geräte im Internet der Dinge auch als Avatar, um Service greifbar zum machen und Nutzern zu helfen, diesen zu verstehen.
Interusability and Interoperability
Bisher ist es häufig so, dass Gerät für Gerät gestaltet wird. Ein Gerät dient als Referenz, kommen weitere Geräte hinzu, wird das Design gerätespezifisch angepasst. So ist es beispielsweise mit dem Responsive Design entweder mit der Desktop-Ansicht als Standard oder bei dem „Mobile First“ Ansatz mit der mobilen Ansicht als Ausgangspunkt. Im Internet der Dinge nimmt die Anzahl der Geräte zu. Wegen ihrer unterschiedlichen Ein- und Ausgabemöglichkeiten macht nicht jede Funktionalität auf jedem Gerät Sinn. Trotzdem sollten sich die Geräte wie eine zusammengehörige Familie anfühlen.
Das gelingt durch Komposition, Konsistenz und Kontinuität. Konzepter müssen sich darüber Gedanken machen, wie sie die Funktionalität auf die einzelnen Geräte verteilen, wie diese ästhetisch als konsistent wahrgenommen werden und wie die einzelnen Geräte untereinander interagieren und sich synchronisieren. Diese Bemühungen fasst der Begriff Interusability zusammen.
Gleichzeitig müssen Geräte miteinander kompatibel sein. Je größer die Interoperabilität, desto weniger müssen Menschen eingreifen, damit Geräte zusammenwirken. Technisch mangelt es noch an Standards. Für Anbieter sind die Anreize bislang gering, ihre Systeme zu öffnen. Finanziell haben geschlossene Systeme zumindest kurzfristig Vorteile. Langfristig hingegen ist Interoperabilität ein wichtiger Faktor, um die Größe des Marktes insgesamt zu steigern.
Buchempfehlung und Ausblick
Mit dem im Mai 2015 bisher nur in englischer Sprache erschienenen Buch hat Claire Rowland mit ihren Co-Autoren ein Referenzwerk geschaffen, das einen guten Überblick bietet von den technischen Komponenten und deren Architektur im Internet der Dinge, über einen Einstieg in den Industriedesign Prozess bis hin zu praktischen Überlegungen zur User Experience von IoT Systemen. Wer wenig Zeit hat, findet die wichtigsten Punkte kurz und prägnant in den Kapitelzusammenfassungen. Die Sprache ist verständlich und anschaulich. Immer wenn man sich ein Beispiel wünscht, folgt dieses im nächsten Satz. Da sie selbst viel Erfahrung mit Konsumgütern hat, kommen viele Beispiele aus dem Bereich der Haustechnik und Wearables und weniger aus der Industrie 4.0.
Noch ist das Internet der Dinge für viele Nutzer Neuland. Indem etablierte Produkte, wie beispielsweise Glühbirnen, an das Internet angebunden werden, werden sie wieder zu Produkten für „Early Adopter“. Die Komplexität des Internet der Dinge stellt Konzepter vor neue Herausforderungen. Wir müssen Systeme für programmierähnliche Nutzererfahrungen konzipieren, die auch bei Fehlern der Nutzer keinen großen Schaden anrichten können. Mit unserer Arbeit können wir maßgeblich dazu beitragen, die Komplexität für Endnutzer auf ein verträgliches Maß zu reduzieren und dem Internet der Dinge zum Durchbruch zu verhelfen. Ich jedenfalls freue mich auf diese Herausforderung!