Katrin Mathis

Digitale Konzepte
mit mehr Wert.

Wenn es um New Work geht, wird Buurtzorg oft als Paradebeispiel genannt, zum Beispiel in Laloux’s Bestseller „Reinventing Organizations“. Im November hatte ich die Möglichkeit, mit dem Team des Seneca-Projekts bei Buurtzorg in Amsterdam und Almelo zu hospitieren.

Buurtzorg ist eine ambulante Pflegeorganisation in den Niederlanden. Gegründet im Jahr 2006, arbeiten heute mehr als 14.000 Pflegende in 1.000 selbstorganisierten Teams. Damit deckt Buurtzorg rund 20 Prozent des Pflegemarktes in unserem Nachbarland. Buurtzorg wurde mehrfach zum besten Arbeitgeber der Niederlande gewählt. Die Kunden bescheinigen Buurtzorg regelmäßig eine hohe Zufriedenheit und erleben dadurch eine höhere Lebensqualität – so ist Buurtzorg ganz ohne Marketing(-Abteilung) gewachsen. Für die Gesellschaft ergeben sich daraus positive Effekte, wie beispielsweise weniger Krankenhausaufenthalte und geringere Pflegekosten.

Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist:

🌟 Die stets spürbare Bodenständigkeit. Trotz des Erfolgs leistet sich Buurtzorg keine Statussymbole, wie schicke Büros und wohlklingende Titel, sondern konzentriert sich auf das Wesentliche – die Pflege von Klient:innen.

🌟 Den Gründer:innen gelingt es gut, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass die Pflegekräfte vor Ort die richtigen Entscheidungen treffen. Klare Richtlinien stecken den Spielraum ab. Beispielsweise können die Pflegenden Arbeitskleidung erhalten, sie entscheiden aber selbst, ob sie das Angebot annehmen oder nicht. Während es in der Seniorenpflege oft Sinn macht, über die Kleidung als Pfleger:in erkannt zu werden, ist das im psychiatrischen Bereich unerwünscht. Es gibt keine konkurrierenden Elemente. Wenn Teams ihren Produktivitäts-Ziele nicht erreichen, fragt Buurtzorg “Wie können wir Euch helfen, besser zu werden”, anstatt Teams abzuwerten oder gar zu bestrafen. Selbst für Innovationen funktioniert das so: Nicht der Chef wählt die Ideen aus, sondern Pflegende bekommen viel Freiraum. Voraussetzung ist, dass sie weitere Unterstützer:innen finden und die Idee von sich aus vorantreiben. So entstand zum Beispiel ein jährliches Rollator-Rennen im Olympiastadion.

🌟 Die Teams arbeiten sehr unterschiedlich zusammen. Das sehr erfahrene Team De Pijp, das wir in Amsterdam getroffen haben, plant beispielsweise Arbeitszeiten und Einsätze komplett gemeinsam, während es für andere Teams besser funktioniert, diese Aufgabe rollenbasiert zu verteilen. Teams müssen sich immer wieder fragen, wie sich Entscheidungen auf ihr Team auswirken, z.B. wenn sie Klient:innen außerhalb ihres Kernbereichs aufnehmen oder neue Pflegekräfte mit einem gewissen Arbeitspensum einstellen. Dass die Teams selbst für die Einstellung neuer Team-Mitglieder verantwortlich sind, mag ineffizient erscheinen, hat aber einen guten Grund: Da es für die Teams keine Routineangelegenheit ist, schenken sie ihr mehr Aufmerksamkeit. Schließlich müssen die Teams ja mit den neuen Team-Mitgliedern gut zusammenarbeiten. Besonders schön war es zu sehen, wie die Team-Mitglieder aufeinander achten und auch mal einer Person eine Auszeit nahelegen, wenn sie feststellen, dass er oder sie in letzter Zeit viel gearbeitet hat oder müde wirkt.

🌟 Gerade einmal rund 60 Personen (!) unterstützen die Pflegekräfte in der Zentrale. Als Servicestelle geben sie nicht vor, wie etwas zu tun ist, sondern führen mit Fragen und Orientierungshilfen. Das gelingt für so viele Pflegende nur, weil die Teams so eigenverantwortlich agieren und Buurtzorg von Anfang an auf schlanke Prozesse gesetzt hat. Im Sinne schneller Prototypen hilft es Buurtzorg, Neues zunächst mit einfachen Mitteln, zum Beispiel auf Papier auszuprobieren und dazu Feedback einzuholen, bevor sie es in Tools wie Excel übertragen und schließlich in Software umgesetzt wird.

🌟 Trotz schlanker Prozesse sind die Coaches für Buurtzorg unverzichtbar. Jeder Coach betreut 35–40 Teams und hat mit jedem Team mindestens 1–2 mal pro Jahr Kontakt, bei Bedarf auch häufiger. Hilfreich ist eine Organisationskultur, in der nicht nur über Erfolge, sondern auch über Schwierigkeiten offen gesprochen wird, selbst uns als Besucher:innen gegenüber.

Während des Besuchs besiegelten wir die Partnerschaft mit dem Seneca Projekt als erstem offiziellen Partner von Buurtzorg in der Schweiz. Das Seneca-Projekt von Adalbert Koch wird das Modell nicht 1:1 übernehmen, sondern auf die Rahmenbedingungen und kulturellen Unterschiede des Schweizer Marktes anpassen und erweitern. Ich bin stolz darauf, diese Transformation durch die Konzeption schlankerer und digitalisierter Prozesse zu unterstützen.

Dieser Beitrag wurde zunächst auf LinkedIn veröffentlicht.